Uwe Wesel, der prominente Rechtshistoriker, hat wieder ein Buch geschrieben. Er hat schon viele Bücher über das Recht und seine Geschichte geschrieben. Ich habe sie alle gelesen. Nicht weil Kollege Wesel ein  alter Freund aus jungen Rechtshistorikertagen im Leopold-Wenger-Institut an der Universität München ist, sondern weil es großartige Bücher sind.beckverlag


Glänzend der knappe, klare Stil,  überzeugend die Disposition und Gewichtung des meist immensen Stoffes, dessen völlige Beherrschung der Fachmann erkennt und der Laie ahnt, unangestrengt und durchsichtig sind die Kulissen für die Akteure entworfen, heiter  der Ton, in dem die flinke Feder des Gelehrten die Geschichten der Rechtsgeschichte entfaltet.

Ich freue mich also immer, wenn ich ein Buch von Wesel durch Wesel zugesandt bekomme. Und je dicker es ist, umso mehr freue ich mich. So auch vor einigen Tagen. Ein dicker orangefarbener Schinken. 591 Seiten, starkes, gutes Papier, viele Bilder. Auf dem Einband steht:

250 Jahre
rechtswissenschaftlicher
Verlag C.H.Beck
1763 - 2013
von
Uwe Wesel

Eine Verlagsgeschichte also. Nun ja. Nicht umwerfend aufregend unbedingt. Aber warum nicht? Einmal etwas anderes. Es hat viele Unternehmensgeschichten in den letzten 20 Jahren gegeben. Die meisten wurden geschrieben im Zuge einer „Aufarbeitung“ oder „Bewältigung“, soll heißen, die Autoren haben sich bemüht, durchweg im Auftrag der Nachkommen oder Nachfolger der Firmen,  das Verhalten der jeweiligen Unternehmensführer in scheußlicher Zeit „ungeschminkt“ darzustellen. Gelegentlich wurde dann doch ein bißchen geschminkt, gelegentlich auch nicht, was dann je nach Sachlage zu scharfer Kritik oder verständnisvoller Milde in den Intelligenzblättern der Republik führte.
Hat sich Uwe Wesel also eingereiht in die Kolonne jener Auftragsschreiber, die die deutsche Wirtschaftsgeschichte in jüngster Zeit zweifellos bereichert haben. Das gefällt mir nicht so gut, aber, so sage ich mir, eine festliche Schrift aus gegebenem Anlass - 250 Jahre! - ist kein Produkt der Bewältigungsliteratur. Und: Wesel ist Wesel
Allerdings, so stelle ich, nach dem schönen Deckel zum Titelblatt weiterblätternd, irritiert fest,  daß Uwe Wesel draufsteht, bedeutet anscheinend nicht, daß auch Uwe Wesel drin ist, jedenfalls nicht nur. Denn auf Blatt 3 liest man überrascht: „von Uwe Wesel und Hans Dieter Beck sowie Mitarbeitern des Verlages C. H. Beck“.  Also nur ein Teil-Wesel. Wesel assistiert vom Gefeierten selbst und dessen Gehilfen. Was hat das zu bedeuten?
Ich lese das Vorwort. Wesel, so kann man dort lesen, war überfordert: „Es war für ihn als einzigen Autor eine nicht mehr erfüllbare Aufgabe, den langen historischen Zeitraum von 250 Jahren zu erschließen und zugleich der großen Fülle der Werke aus der neueren Zeit gerecht zu werden“. So war das also. Der Gute hat es nicht mehr gepackt. Na ja - er ist ja auch schon 80. Andererseits noch vor Kurzem packte er rund 2000 Jahre in 750 Seiten und jetzt scheitert er schon an läppischen 250 Jährchen? Nur bis 1970 ist er gekommen, dann verließen ihn die Kräfte. 1970 endet Seite 307 - ich habe also nur rund 300 Seiten Wesel und rund 280 Seiten von anderer Hand (und damit Kopf).
Vielleicht war die Aufgabe nicht richtig formuliert? Oder der Auftraggeber war mit dem Resultat nicht zufrieden und hat deshalb sich selbst und einen Co-Autor vor die kritische Feder des bekanntlich politisch recht eindeutigen demokratischen Gelehrten geworfen. Gegen letzteres spricht freilich die absurde Zahl der beauftragten Schreiber: Zwischen Anna von Bonhorst und Dr. Klaus Winkler drücken sich sage und schreibe 23 (!!) weitere Autoren auf 7 Zeilen des Vorworts. Ein wüster Haufe von Kompetenz, aus dem doch naturgemäß weder eine Idee noch eine Form entspringen kann. Also doch eher Komplettomanie als Antikritik?
Und der Vorwortschreiber (Dr. Hans Dieter Beck) setzt gleich noch eins drauf: „Da für die Arbeit dieser Verlagsmitarbeiter nicht mehr viel Zeit zur Verfügung stand, muss für manche Unterlassung und nicht optimale Verteilung der Schwerpunkte sowie die eine oder andere Ungenauigkeit um Nachsicht gebeten werden. Auch hat jeder, der am Manuskript mitgewirkt hat, einen etwas verschiedenen Formulierungsstil“.
Du lieber Himmel! Schlampig und holprig heißt das auf Deutsch. Und dafür soll der Gutwillige 38.- € bezahlen?
Ganz so schlimm ist es dann doch nicht! ich lese ein bißchen; ab Seite 309. Alles wird schön aufgezählt und lobend dargestellt. Die Steuerrechtkommentare gelb und die blaue Reihe der BecK‘schen Steuerrechtskommentare, der Bilanzkommentar, das internationale Steuerrecht und das Steuerberater-Handbuch. Ein lyrischer Katalog irgendwo zwischen Telefonbuch und Wikipedia. Und grauenhaft langweilig. Aber das liegt nicht am Steuerrecht. „Die Studienliteratur wird lebendiger“ meinen die Weselschen Schreibgehilfen und reden über „Grundkurse“ und „Grundrisse“, über „Kurzlehrbücher“ und „Prüfe Dein Wissen“, über „Lernbücher“ und „Lehrbücher“, dass einem graut vor dieser industriellen Vernichtung von Köpfen, die doch einst zu Besserem gezeugt wurden. Vielleicht war Uwe Wesel doch nicht überfordert, sondern hatte keine Lust, sich auf derlei Unlust garantierende Statistikerpoesie einzulassen.  Ich werde ihn fragen müssen.
Aber vorher blicke ich noch in seinen Text. Man erkennt ihn sofort. Wesel-Diktion und Wesel-Urteile. Alles wie gewohnt und schön. Schnell eile ich zu den Zeiten und Zeilen, denen in anderen Werken die „Bewältigung“ gilt (X. Das „Dritte Reich“ und der Buchhandel. Rechtsverwüstung und Gleichschaltung, 107 ff. und XI. Heinrich Beck 1933 - 1945. Beginn und Größe im Juristischen und Nationalsozialistisches 111 ff.). Die fürchterlichen Namen tauchen auf: Hans Frank und Hans Globke und Wilhelm Stuckart und Roland Freisler und Carl Schmitt und, und, und. Wesel wird deutlich. Spricht von „Schandfleck“ und schwarzem „NS-Fleck“, von „Wahnsinn“ und „grauenvoll“. Aber irgendwie weht ein nachsichtiger Zug durch die braunen Zeiten. „Andere waren schlimmer“ klingt häufig an und „was sollte machen, wer Erfolg wollte?“ und „was hättet ihr gemacht, an seiner Stelle?“. Bekannte Gedanken - hat man immer, so man sich nicht restlos borniert mit der eigenen Vortrefflichkeit zufrieden gibt. Aber nicht so wirklich Wesels Art. Altersmilde? Vorauseilender Gehorsam? Oder haben die Hände des Bestellers auch hier helfend eingegriffen? Jetzt muss ich wirklich Wesel fragen.
Ich frage ihn, aber er sagt nichts. Und sagt außerdem: „Ich sage nix“! Frage ich schließlich nach ergebnisloser Fragerei, warum er zugelassen habe, daß dieser Bastard von einem Buch unter seinem Namen erscheine? Freundliche Antwort:

Ich brauche halt Geld

Na wenn das so ist ….