Rainer Maria Kiesow


Rainer Kiesow ist aus dem Mops-block verschwunden. Hat sich nach Frankreich abgesetzt und tummelt sich jetzt dort unter den französischen Intellektuellen an der sattsam bekannten und zu Recht einigermaßen berühmten EHESS. Ganz freiwillig war diese Emigration nicht. Schließlich ist RMK Deutscher und hätte seine nicht gerade geringen Fähigkeiten gern der deutschen Universitätswelt zur Verfügung gestellt. Aber die meinte, sie könne es sich leisten, auf ihn zu verzichten und ihn den Franzosen, die rasch und mit Vergnügen zugegriffen haben, überlassen.

Vermutlich hatte die deutsche Rechtslandschaft - auf die es hier angekommen wäre - völlig Recht mit ihrem Verzicht, denn seit sie sich lustvoll und ausgiebig der rückstandlosen Verbetriebswirtschaftlichung ihrer Ziele verschrieben hat, ist ihr ohnehin nie sehr ausgeprägter Bedarf nach Irritation durch Geschichte, Soziologie und Philosophie weitgehend verblasst und hat Geschwindigkeit, Effizienz und Marketing Platz gemacht. Also ist Kiesow dem Angebot aus Paris gefolgt und lebt jetzt dort, wo man das Phänomen „Geist“ noch immer nicht nur für eine Figur aus Grimms Märchen oder eine Erfindung verschrobener Philosophen hält - obendrein auf einer Stelle, neben der ein deutscher Lehrstuhl sich ausnimmt wie eine verrottete Gartenbank neben einem Empire-Fauteuil. Nachrichten aus der deutschen Rechtswelt dringen jetzt naturgemäß nur noch sporadisch über seine Freunde zu ihm und woher er die Motivation nehmen sollte, sie zu kommentieren, ist unerfindlich. Also hat er uns für immer verlassen, aber seine früheren Texte können auch in Zukunft hier aus dem Archiv gehoben werden.

Für seine aktuelle Welt hat RMK jetzt GRIEF (sprich: Grie-eff) gegründet (nicht ganz allein selbstverständlich: Olivier Cayla ko-operiert) eine Zeitschrift, die sehr viel verspricht, und deren erste Nummer, die gerade im Erscheinen begriffen ist, jedenfalls das Versprochene hält.

Es gibt vier Abteilungen Différend (mit den schönen Themen „droit à Sciences Po“, „circoncision“ und „mariage pour tous“ - wobei jedenfalls bei den beiden letzten Gruppen auch bei jenen, die ihre Blicke ungern nach Westen richten irgendwelche Synapsen mit geschwinder Transmissionsleistung beginnen werden), Exploration (Palais de justice, impôt confiscatoire), Cas (Gotovina, Srauss-Kahn), Lecture (4 Titel).

Wie man sieht: nicht sensationell, aber doch sehr appetitlich; nicht, koste es, was es wolle, mundan/mondän - aber auch nicht frankozentrisch, sondern gut europäisch; juristisch und transjuristisch; leicht und oft amüsant zu lesen; das meiste analogiefähig oder wenigstens übersetzbar.

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